Zeitzeugen


Weg des Schreckens - eindrucksvoller Zeitzeugenbericht an der Konrad-Witz-Schule

Hochkonzentriert und sichtlich betroffen lauschten etwa 55 Schüler und Schülerinnen der beiden 9. Klassen der Werkrealschule und der 10. Klasse des Kooperationsmodells den Schilderungen von Frau Wieslawa Borysiewicz, polnische Überlebende des KZ-Terrors der Nationalsozialisten, und ihrer Dolmetscherin, Frau Johanna Plonka, zu ihrem »Weg des Schreckens«, am 9. Mai im Musikpavillon der Konrad-Witz-Schule.

Begleitet wurde die 84-jährige von Herrn Gerold Müller, Mitglied der Initiative Eckerwald e.V. und pensionierter Realschullehrer.

Vor 70 Jahren entstanden zwischen September 1944 und April 1945 unter dem Decknamen »Wüste«sieben Konzentrationslager in unmittelbarer Umgebung unserer Heimatstadt Rottweil. Von den über 12.000 Menschen, die im Zeitraum von nur 8 Monaten durch diese sieben Lager hindurchgingen, wurden mindestens 3.500 direkt vor Ort vernichtet, durch unmenschliche Arbeit, durch Erniedrigung und Demütigung und durch eine völlig unzureichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten. Bei näherem Hinsehen war die Todesziffer noch deutlich höher, da oftmals kranke und schwache »Häftlinge“ in die sogenannten »Krankenlager“ Vaihingen/Enz und Bergen-Belsen geschickt wurden und dort umkamen, wenn sie nicht schon während des Transports in Viehwaggons gestorben waren.

Wieslawas Vater starb völlig entkräftet 1945 im Lager Dautmergen, einem der 7 Wüste-Lager.

Die Familie Borysiewicz war im August 1944 im Rahmen des Warschauer Aufstandes verhaftet und verschleppt worden. Bei den anschließenden Vergeltungsmaßnahmen wurde ihr Haus bereits am ersten Tag von der Wehrmacht und der SS völlig zerstört. Die Familie, die selbst am Aufstand gar nicht beteiligt war, wurde zusammen mit zahlreichen anderen Warschauer Bewohnern wie Vieh in völlig abgedunkelten und verriegelten Eisenbahnwaggons ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau transportiert.

Hier wurden die Geschlechter getrennt: Männer und Frauen, Mädchen und Jungs kamen in unterschiedliche Baracken. Die damals 15jährige Wieslawa und ihre jüngere Schwester wurden in eine Baracke für Kinder gesteckt, die kranke Mutter landete in einer Baracke für Frauen. Vater und Bruder wurden einen Monat später ins KZ-Natzweiler (Elsass) und von dort ins KZ-Außenlager nach Dautmergen geschafft.

Wieslawa erhielt die Häftlingsnummer 83267, ihr Name spielte von nun an keine Rolle mehr, ihre Haare wurden abrasiert, ihre Kleider und ihr spärlicher Besitz wurden weggenommen, bis auf die Häftlingskleidung war sie nackt.

Mehlsuppe zum Frühstück, wässrige Suppe zum Mittagessen, eine Scheibe Brot zum Abendessen mit etwas Margarine und kaum Marmelade, das war die tägliche Essensration im Lager. Die Freizeitbeschäftigung für Kinder bestand darin, still auf den Holzpritschen in ihrer Baracke zu sitzen. Das Sprechen miteinander war verboten. Niemand durfte sich frei im Lager bewegen. Ältere Jugendliche, wie beispielsweise Wieslawa, mussten Fäkalien und Müll entsorgen. Niemand durfte alleine zur Toilette! Man musste warten, bis eine Gruppe von 20 Kindern und Jugendlichen zusammenkam. Gesunde Kinder und Jugendliche wurden für medizinische Versuche aussortiert. Es wurden Tabletten und Spritzen verabreicht um ihre Wirkung am noch lebenden Kind zu testen. Wieslawa leidet noch heute an den Folgen dieser Experimente!

Im Januar 1945 wurde das KZ Auschwitz-Birkenau aufgrund der näher rückenden Front von den SS-Wachmannschaften "evakuiert": Zusammen mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und anderen Mithäftlingen wurde Wieslawa auf einem Lastwagen nach Berlin gekarrt, zur Beseitigung von Bombentrümmern. Die ausgehungerten Menschen wurden trotz härtester Arbeit kaum mehr mit Lebensmitteln versorgt und mussten sich heimlich Essensabfälle aus Müllhäufen stehlen um am Leben zu bleiben. Mehrfach wurden sie an unterschiedliche Orte verlegt, um schließlich wieder in Berlin zu landen, wo sie von russischen Truppen aufgegriffen und zunächst als ukrainische Kollaborateure verdächtigt wurden. Nach der endgültigen Befreiung traten sie den Heimweg nach Polen an, zu Fuß, zerlumpt, ohne Lebensmittel, ohne Schutz und in ständiger Angst und Sorge ob der Gefahren unterwegs.

Zum Schluss ihres Berichts erklärt Wieslawa den Jugendlichen, dass sie gerne nach Rottweil gekommen sei. Auch wenn es ihr immer wieder schwer falle von ihrem Weg des Schreckens zu berichten, so freue sie sich sehr über das Interesse und die Aufmerksamkeit der jungen Menschen hier in Deutschland.

In der abschließenden Fragerunde wurde deutlich, wie sehr die Schülerinnen und Schüler mit dem Schicksal der Zeitzeugin mitfühlen konnten. Einige Jugendliche ließen sich es sich nicht nehmen, sich persönlich von Wieslawa zu verabschieden und ihr alles Gute zu wünschen.

Text und Bild: Hardy Schwarz