Schwarzwälder-Bote, 11.03.2015 20:35 Uhr

Veränderung trifft Schüler und Lehrer


KWS bereitet sich auf Wechsel zur Rottweiler Gemeinschaftsschule vor / Zusammen und doch individuell lernen

Von Verena Schickle

Rottweil. Dass Lernen eine lebenslange Aufgabe ist, bemerken nicht nur Schüler jeden Tag aufs Neue. Auch die Lehrer an der Konrad-Witz-Schule (KWS) erleben gerade einen Umbruch. Die wird nämlich ab dem nächsten Schuljahr zur Rottweiler Gemeinschaftsschule. Bis dahin gibt es viel zu tun.

Für einen Eliteschüler ist Rottweil nicht der schnellste: Mit der Einführung einer Gemeinschaftsschule (GMS) hat sich die Stadt vergleichsweise Zeit gelassen. In der Gemeinschaftsschule Eschach-Neckar mit den Standorten Deißlingen und Niedereschach beispielsweise läuft bereits das zweite Schuljahr, in Dunningen fiel der Startschuss vergangenen September.

Willy Schmidt, Rektor der KWS, wundert das nicht: Das Schulangebot in Rottweil ist vielfältig, das mache die Einführung einer neuen Schulart schwierig. Gerade in kleineren Orten soll die GMS den Schulstandort sichern. Und diese Sorge hat die älteste Stadt des Landes nicht: »Für mich war schon vor vier Jahren, als das Thema aufkam, der pädagogische Ansatz entscheidend«, erklärt Schmidt.

Zumal die KWS, bisher Grund- und Werkrealschule, keinen Schülerrückgang zu verzeichnen habe. Dennoch ist ab dem kommenden Schuljahr Schluss mit der Werkrealschule: Die KWS wird von der fünften bis zur zehnten Klasse Gemeinschaftsschule, Schüler – egal ob schwach oder stark – werden dann zusammen unterrichtet, aber individuell gefördert. Nach der zehnten Klasse machen alle einen Abschluss – manche den Hauptschulabschluss, die anderen die Mittlere Reife. Und wer besonders gut ist, besucht anschließend ein Gymnasium.

Damit werden Kinder nicht mehr nach der vierten Klasse in das dreigliedrige Schulsystem »einsortiert«. Das längere gemeinsame Lernen habe sich international »absolut etabliert«, meint Willy Schmidt. Genauso absolut überzeugt ist er von der neuen Schulart. Dagegen entschieden hatten sich indes die Rottweiler Realschule und die drei allgemeinbildenden Gymnasien. Die beruflichen dagegen seien sehr kooperativ. Dort sieht Schmidt die besten der künftigen Gemeinschaftsschüler nach Klasse zehn dann auch das Abitur machen.


Wer im Zeugnis nach Noten sucht, sucht vergeblich


Gelernt wird in der Gemeinschaftsschule auf drei Niveaus: Grundniveau, mittleres und erweitertes Niveau. Aus diesem Grund unterrichten auch Realschul- und Gymnasiallehrer an der GMS. Noten sind dort passé. In den Zeugnissen erhalten die Schüler stattdessen Beurteilungen in Textform zu den einzelnen Fächer genau wie eine Rückmeldung, auf welchem Niveau sie sich in welchem Fach bewegen.

Darüber hinaus beurteilen die Pädagogen weitere Bereiche, zum Beispiel: Wie gut hält ein Schüler seinen Arbeitsplatz in Ordnung? Denn die Gemeinschaftsschule verlangt den Kindern auch etwas ab. Sie sollen ihr Lernen selbstständig organisieren. Dabei helfen ein Lernplaner, den es in der KWS bereits ab der Grundschule gibt, und regelmäßige Lernberatungsgespräche mit Lehrern. Kinder, die dieselbe Klasse besuchen, lernen so auf unterschiedlichen Niveaus – für jedes gibt es spezielles Lernmaterial. Ein Teil des Unterrichts findet in der Klassengemeinschaft statt, ein anderer in den jeweiligen »Niveau-Gruppen«. Darüber hinaus steht täglich individuelles Lernen auf dem Stundenplan und Lernen in Projekten und Werkstätten.

So kann es sein, dass ein Schüler in Mathe beispielsweise zu den besten in der Klasse gehört und entsprechend schnell mit dem Stoff vorwärts kommt, dafür aber in Deutsch eher durchschnittlich ist. Und das ist in Ordnung. Für Schmidt hat das große Vorteile: Es gebe keinen Grund für Versagensängste, dafür aber eine höhere Motivation zu lernen. Der KWS- Rektor formuliert es folgendermaßen: Die Schule passe sich an das Kind an, nicht anders herum.

Dass er von dem Konzept der GMS überzeugt ist – seit die KWS im Februar grünes Licht aus Stuttgart erhalten hat, arbeiten Schmidt und seine Kollegen an der Umsetzung ihres Konzepts –, daraus macht er keinen Hehl. Zwar kann er verstehen, dass die anderen Schularten kritisieren, Grün-Rot buttere das ganze Geld in die GMS, während sie leer ausgingen. Geht es nach Schmidt, ist es allerdings noch längst nicht genug. »Ich werfe der Landesregierung vor, dass sie die GMS zu wenig fördert.« So liege etwa der Klassenteiler bei 28 Schülern – für das Konzept des individuellen Lernens seien aber 24 genug. Nicht nur die Kinder, auch die Lehrer müssen sich gewaltig umstellen: Schließlich muss sich in der GMS die Schule an den Schülern ausrichten, nicht umgekehrt. Willy Schmidt spricht von einem Paradigmenwechsel im Kopf, der nötig sei. Aber die Kollegen hätten begriffen, dass sie sich umstellen müssen. Zumal er die Werkrealschule als Auslaufmodell betrachtet. Auch wenn es anfangs nicht 100 Prozent des Kollegiums waren, die für die GMS stimmten, so sei es doch die große Mehrheit gewesen. Darüber hinaus haben sich etliche bereits weitergebildet in Sachen GMS.

Die Eltern zeigen ebenfalls Interesse: Der Infotag am vergangenen Wochenende war gut besucht, Voranmeldungen für die GMS gebe es bereits. Ob die Gemeinschaftsschule für jedes Kind geeignet ist? Da ist Willy Schmidt Realist und offen: Wenn Kinder nicht selbstständig arbeiten können oder dies nicht an ihrer Grundschule nicht gelernt haben, dann könnten sie es schwer haben in der GMS. Und wenn ein Viertklässler in allen Fächern so gut ist, dass er aufs Gymnasium gehen kann? Warum nicht, meint Schmidt. Aber Eltern müssten eben auch wissen, was das G?8 für ein Kind bedeute. Seiner Meinung sind ohnehin gerade die Leistungsstarken in der Gemeinschaftsschule gut aufgehoben: »Je stärker jemand ist, desto mehr Futter kriegt er« dort nämlich.