Ameisenbauten
Johann Reißer November 2014
Ameisenbauten: Ein siebenteiliger Satz
Entstanden anlässlich der Einweihung zweier Ameisenskulpturen an der Konrad Witz-Schule Rottweil
im Rahmen der länderübergreifenden Kunstaktion "Ameisenstraße"
1. Anfangskalkül
Wie ergibt sich aus Vielem Eins?
Zum Beispiel 17 + 53 + 8 = 1?
Geht das? Geht das auf?
Wie ergeben sich aus Dingen, die nichts miteinander,
Sondern mit ganz anderen zu tun haben,
Die alle laufen, aber in unterschiedliche Richtungen,
Eins?
Wie fügen sich Sachen zu- und ineinander
Zu mehr als einem gewürfelten Haufen?
Wie findet sich da ein Weg, eine Straße?
Da muss man einfach beginnen,
Bei dem, was sich findet:
Ein paar alte Speichen, Gitter, Bolzen,
Schrauben, Muttern, Bretter, Stangen,
Teile dieser und jener Maschine,
Teile dieses und jenes Baums,
Teile, die vordem anderem dienten.
2. Von Ameise zu Ameise
Es geht voraus: die Ameise.
Man geht ihr nach.
Man beginnt beim Bild:
Beim Bild der Ameise,
So wie es im Buche steht
Oder im virtuellen Wald.
Das Bild eines Exemplars,
Ein Modell, das für etwas andres stehen soll.
Und gehen.
3. Mit den Augen der Körpermaschine
Da gibt es Tiere und da gibt es Menschen.
Und da gibt es Menschen und Maschinen
Und Tiere und Maschinen.
Und da gibt es Tiermaschinen und Maschinentiere
Und Menschmaschinen und Maschinenmenschen.
Und alles mögliche dazwischen.
Da ist nichts festgeschrieben,
Da muss immer wieder das Brauchbare herausgelesen,
Das Unbekannte ins Auge gefasst werden.
Da kann, was man Sperrmüll nennt,
Augen aufsperren, wandeln, wenden.
Da zeigt sich: was einst an Fährrädern lief
Kann auch Körper runden,
Was Dampfkraft übertrug auf Sägen und Hämmer
Kann Triebrad einer wunderlichen Maschine werden
Und dann wieder Sichtinstrument eines Krafttiers.
Was in einem Abbruchhaus der Zeit abhanden kam
Kann in einer anderen Zeit Neues aufbauen.
Ein von Ameisen umlaufener Stamm
Kann selbst Ameise werden,
Kann zusammen mit anderen Teilen
Etwas zum Laufen bringen. |
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4. Aus dem Werkzeugkasten geplaudert
Doch nun konkret:
Von den Plänen zu den Bildern,
Von den Planern zu den Werkern:
Mit Schnüren und mit Schrauben,
Mit Nägeln und Gewinden,
An Schweißpunkten und an -nähten,
An Achsen und Gelenken:
Mit den Techniken des Gerüstbaus und der Zimmerleute,
Der Maler und der Metallverarbeiter
Und mancher anderer noch:
Werkzeuge, die formen, Formen, die bilden,
Bilder, die wirken, Werke, die wachsen. |
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5. Beim Straßenbau
Erst sind's nur Punkte und Striche,
Verstreute Skizzen, die dieses und jenes zusammenbringen,
Verknüpfen mit der Hoffnung: vielleicht entsteht daraus ein Faden,
Ein Gewebe, ein Knäuel oder ein Ball,
Vielleicht ein Nest, ein Netz:
Etwas, das andere Nester einfängt,
Das neue Muster knüpft, das etwas zum Rollen bringt,
Das weitere Fäden spinnt und weiter führt.
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6. Straßen und Staaten
Was verbindet Dinge, Tiere, Menschen?
Ein Körper, eine Straße, ein Staat?
Wohin führt das?
Reicht die Spur der Gründerameise,
Oder muss es auch Parallelwege geben,
Alternativen, um auch anders anzukommen?
Reicht Reizsteuerung für das Zusammenkommen?
Wie funktionieren die Fühlersprachen,
Um Fährten und Gefährten zu finden? |
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7. Wandelnde Gefüge
Und dann endlich das fertige Gefüge:
Mit allem, das ihm anhängt, an dem es hängt.
Für einen Moment nur steht es im Bild,
Dann beginnt es sich schon wieder zu verändern,
Zu wandeln, findet neue Formen,
Neue Maschinen, neue Wesen,
Um neu aufzuzeigen, wie Vieles zu Einem zusammenkommt:
Nicht nur Fahrradspeichen und Eisenschrott,
Nicht nur Bolzen, Schrauben und Nägel, Bretter und Stangen,
Nicht nur 17 + 53 + 8, sondern auch noch manch anderes
Nach dem Bild der Ameise,
Das nur scheinbar als einzelnes stillsteht:
Denn sie bewegen sich doch.